Freitag, 22. Februar 2013

Früher war alles genauso: Kuriosa des Altbaus

In meinem Arbeitszimmer rieselt es seit Monaten von der Decke, genau im Winkel, wo die Zierleiste an die Decke stößt. Nicht viel, aber beharrlich. Vermutlich ist die Zierleiste - eine Winkelleiste aus Gips oder Rigips, der mit Fasern verstärkt ist - brüchig geworden. Ich beschließe, das Problem jetzt endlich nicht mehr durch Ignoranz auszusitzen, sondern Nägeln mit Köpfen zu machen. Die Zierleiste ist sowieso hässlich, also kann sie auch weg. Ein bis zwei Stündchen Arbeit, schätze ich, inklusive Nachstreichen.


Das Foto ohne Sinn und Verstand
Vera Kriebel, 2012



Ich entferne die Zierleiste, die erstaunlich fest an Wand und Decke sitzt. Es kommt mir eine Wolke rötlichen Baustaubs entgegen. Das kann nicht die Zierleiste sein. Nicht allein zumindest. Ist es auch nicht. Während ich die Leiste herunterreiße, offenbart sich mir: Handwerker war früher schon genauso ein Pfuscher wie heute.

Die Zierleiste dürfte aus den 1970er, 1980er Jahren stammen, als hier an meinem Zechenhäuschen die Wohnungsgrundrisse verändert wurden (winzige, schmale und dunkle Flure wurden abgetrennt, so dass die Zimmer nun separat erreichbar waren, Küche und Zimmer aber eben auch kleiner, insbesondere die Küche nun nicht mehr eine Wohnküche).

Die Zierleiste war definitiv nicht brüchig. Sie war sogar erstaunlich intakt. Als ich sie resolut ganz herunterreiße, rieselt es nicht mehr nur, es kommen kiloweise Bauschutt, Asche und -staub auf mich herab. Der Baustaub hat das gesamte Zimmer eingehüllt, inklusive Kommode, Schrank, Aktenordner und so weiter. Als reiner Glücksfall hat sich erwiesen, dass ich die Tür geschlossen hatte - sonst hätte sich der Staub in jedem Winkel der Wohnung niedergelassen. Baustaub (besonders alter) ist tückisch und kaum aufzuhalten, weil so herrlich fein.

Und es war nicht die Zierleiste, sondern etwas, was für mich nicht erklärbar ist: Die Decke geht nämlich nicht bis zur Wand, sondern hört etwa 15 Zentimeter vorher auf, so dass die Zierleiste mitnichten eine Zierleiste ist, sondern tatsächlich die Lücke nach oben verschließt.

Da Handwerker nebenbei Bauschutt einfach im Zwischenraum zwischen Decke und Boden des nächsten Stockwerks abgelagert haben, statt ihn nach unten zu tragen, gibt es dort eine Menge, was ins Zimmer herunterstürzen kann. (Gut, ich gebe zu, dass dies auch aus Gründen der Dämmung geschehen sein kann. Lassen wir uns daher darüber nicht weiter aus.)


Fantastisch. Das Problem ist natürlich nicht nur der Dreck - es klafft dort oben nun eine Lücke und die will geschlossen werden. Mit ein bis zwei Stündchen ist es natürlich nicht getan, die sind jetzt schon herum. Nur wie die Lücke ausfüllen? 15 Zentimeter sind kein Pappenstiel. Eine dünne Holzleiste daruntersetzen? Schwierig, weil an der Rigips-Decke kaum etwas befestigt werden kann und sie zudem etwas durchhängt, so dass gerade nicht gerade ist.

Letztlich nehme ich Bauschaum (ich weiß, Umweltsünde, aber was will man machen, wenn man nicht gleich die gesamte Decke erneuern will?). Die ersten fünf Dosen Bauschleim kommen mir gleich von oben wieder entgegen, nach der sechsten bin ich dann so fit, dass es hält. Nach mehreren Schichten ist die Lücke dicht.

Gut Aussehen ist natürlich etwas anderes, aber ich bin ja inzwischen auch schon geübter Heimwerkspfuscher. Ich schneide den Bauschaum einigermaßen glatt ab und hefte eine helle Stoffschlange darunter. Das sieht jetzt zwar wie Tante Ernas Wohnzimmer aus, aber alles andere hätte nur noch mehr Arbeit gekostet.

Wegen des Drecks musste natürlich das gesamte Zimmer neu gestrichen werden. Aufwand insgesamt: etwa 30 Stunden.

Und all das, weil irgendwelche Handwerker vor 30 Jahren meinten, die Decke nicht ordnungsgemäß anbringen zu müssen. Warum macht man so etwas?

Über Antworten und Rückmeldungen wäre ich dankbar - ich trachte ja nach wie vor danach, mir das Universum des Handwerkers zu erklären, egal ob rational oder irrational. Aber man möchte doch nicht ständig auf ein großes Rätsel im eigenen Haus schauen, oder?




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