Sonntag, 19. Februar 2012

Aufräumen mit einem Mythos - Deutsche Handwerker in den goldenen Sechzigern

Wie angekündigt hier nun etwas zum Thema: "Früher war alles genauso!"

Meine Tante, inzwischen fast neunzig. 40 Jahre war sie in einer der großen Wohnungsgesellschaften des Ruhrgebiets tätig, den Wohnstätten. Und wohnte in einem der Wohnstätten-Mehrfamilienhäusern. Nach dem Krieg noch mit Öfchen im Wohnzimmer. Doch dann sollte das Haus komplett saniert werden: Neue Fenster, neue Bäder, Zentralheizung, Heizkörper. Mit dort wohnenden Bewohnern - ein mutiges Unterfangen, denke ich sofort.


Mal kommen sie, mal bleiben sie weg - 18 Monate Dreck, Lärm, unbewohnbare Räume, kein Bad

"Unvorstellbar" - noch mehr als 50 Jahre danach bebt sie vor Wut - "unvorstellbar, was wir damals mitmachen mussten. Ich hatte versucht, meine Wohnung zu schützen, indem Teilbereiche gründlich abgeklebt wurden. Jeden Morgen kroch ich unter den Plastikplanen hervor, kämpfte mich durch den Flur, unter der nächsten Plastikplane ins Bad und in die Küche. Trotzdem war natürlich alles ständig verdreckt und voller Baustaub. Monatelang hatten wir kein Bad. Ich habe mich immer im Büro gewaschen, am Wochenende dann im Schwimmbad. Wochenlang schlief ich auf Behelfsgästebetten. Die Sanierung zog sich einundeinhalb Jahre hin. Zuerst kamen sie und rissen alles raus. Unberechenbar dröhnten Bohrhämmer, dann war wieder alles still. Sie tauchten wochenlang nicht mehr auf. Dann kamen sie urplötzlich und unangekündigt wieder, arbeiteten wieder ein paar Tage und verschwanden. Die Heizkörper lagen monatelang im Winter bei Regen und Schnee draußen im Hof. Der alte Ofen war rausgerissen worden. Wir hatten über Wochen im Winter keine Heizung."

Die Gnade der Rache

Meine Tante kann also offenbar verstehen, wie es uns allen heute geht, wenn Handwerker in unseren Wohnungen etwas anstellen sollen oder müssen und uns damit in Depressionen stürzen und selbige verwüsten.

Sie hatte allerdings das Vergnügen der Rache - und dies noch 50 Jahre danach. Pech für das ausführende Handwerksunternehmen war, dass sie zufälligerweise Chefsekretärin des für die Umbauten zuständigen Vorstandsmitglieds war. Über ihren Schreibtisch gingen Aufträge und Angebote. "Und", fährt sie süffisant fort, "dem Handwerker habe ich höchstpersönlich versprochen, dass er niemals wieder auch nur einen einzigen Auftrag bei den Wohnstätten erhält." Sie hat Wort gehalten.
Feuerchen
(c) Vera Kriebel, 2010

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